Soziales Leben – warum das Handy zur Krücke wird

Ich habe einen Freund, der hat es schon vor einem Jahr getan. Andere behaupten, sie machen es alle paar Monate für ein paar Wochen und es fühlt sich „soo gut“ an. Andere reden die ganze Zeit darüber, aber haben nicht den Mut es endlich zu tun. Ich rede nicht von Drogen oder davon, vegan zu werden. Ich rede vom „sozialen“ Ausstieg. Heute ist damit nicht mehr gemeint, in eine Berghütte zu ziehen, sich einen langen Bart wachsen zu lassen und sich plötzlich nur noch von Beeren und Rinde zu ernähren. Es genügt, den eigenen Facebook-Account zu löschen, sich bei Twitter abzumelden, Jodl zu schließen und den Datendienst am Handy abzudrehen. Nicht ganz so drastisch wie Beeren- und Rinde- essen, kommt aber in den Augen mancher schon fast hin.

Soziale Netzwerke kennt heute jeder. Vor ein paar Jahren wurde damit noch der eigene Freundes- und Bekanntenkreis bezeichnet. Jetzt ist der erste Gedanke zu diesem Begriff bei vielen: „Welches genau?“. Die digitale Revolution hat dazu geführt, dass wir plötzlich bekannten Konzepten neue Bedeutung zuordnen. Soziale Interaktion findet nicht mehr vorrangig persönlich, sondern über das Internet statt. Etwas zu „teilen“ bezieht sich nicht mehr auf einen selbstlosen Akt der Weitergabe von Ressourcen, etwas „liken“ (mögen) ist keine bewusste Zustimmung sondern eher eine lose Interessensbekundung. Das Fotoalbum wird zum Selfie-Album (wobei auch andere Leute auf den Fotos drauf sein dürfen, aber nicht zu viele), die Beziehung zum Statusfeld (Ja, Nein oder doch lieber kompliziert?) und unbedachte Kommentare zur potentiell unkontrollierbaren Shitstorm-Bombe.

Nun gibt es Menschen die in dieser Entwicklung nur schlechtes sehen mögen, andere (fast) nur Gutes. Aber die Welt war noch nie Monochrom. Es ist wunderbar, sich einfach mit Freunden am anderen Kontinent austauschen zu können. Die Welt wächst zusammen, endlich sind Probleme eines Landes auch die seiner Nachbarn, auch in den Herzen der Bürger. Was mich bedenklich stimmt ist einzig die Tatsache, dass das Smartphone immer mehr zur sozialen Krücke wird – und dass diese Entwicklung steuer- und planbar ist. „Habit-Forming Design“ ist in der Programmierwelt in aller Munde. Die sozialen Netzwerke die wir nutzen, werden auf Grundlage psychologischer Forschung so optimiert, dass ihre Nutzung uns maximale Befriedigung verschafft. Sie ziehen uns in ihren Bann um soziale Beziehung immer mehr zu etwas digitalem zu machen, zu etwas, das sich für Werbung nutzen lässt.

Warum ich so etwas schreibe? Eigeninteresse. Ich beschäftige mich mit diesem Thema, weil ich selbst Jungunternehmer bin und Menschen mit meiner Plattform eine alternative ohne Werbung, ohne Habit-Forming Design und dafür mit echter sozialer Interaktion bieten will. Zwangsläufig beschäftigt man sich dadurch mit den Schattenseiten der „sozialen Industrie“. Ich würde es aber jedem selbstverantwortlichen Nutzer empfehlen, zumindest ab und zu das eigene Netzwerkverhalten zu überdenken. Googelt mal Nir Eyal (selbsternannter Desire Guru). Er beschreibt sehr anschaulich in vier Schritten, wie Produkte Menschen süchtig machen (können und sollen). Nicht von ungefähr kommen die dabei verwendeten Begriffe ursprünglich aus dem Drogenmilieu.

 

Andreas Viehhauser

Andreas Viehhauser hat Wirtschaft und Wirtschaftsinformatik in Österreich und Schweden studiert. Seit einem Jahr betreibt er mit seinem Kollegen Thomas das Startup BuddyMe.me. Damit ermöglichen sie Menschen regionale Vernetzung für echte Aktivitäten.

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