„Digitalisierung ist keine wirtschaftliche Chance, sondern eine volkswirtschaftliche Notwendigkeit“

Die Start-up-Szene wird nicht allein von FinTechs und E-Commerce-Unternehmen beflügelt: Die Digitalisierung bietet Möglichkeiten für eine Vielzahl an Geschäftsfeldern. Diese Entwicklung hat Wolfgang Kuhlmann erkannt und zugunsten seines Unternehmens genutzt. Nach jahrelangen Erfahrungen in der Kommunikation von Unternehmen sowie als externer GmbH-Geschäftsführer eines Online-Verlages hat er im Februar Webputation – Agentur für Digital-Marketing & Reputationsmanagement gegründet. Zeit für ein Gespräch mit dem gebürtigen Gelsenkirchener.

Bevor wir starten, empfinde ich es als wichtig, dass die Leser wissen, wer Wolfgang Kuhlmann ist. Stell dich bitte kurz vor.

Digital-Native, Stratege und Ruhrpott-Gewächs – das beschreibt mich ganz gut. Und seit Februar selbst Gründer und Unternehmer. Ich habe viele Jahre im Bereich Marketing und PR gearbeitet, etwa bei der BASF SE. Am Ende hat bei mir aber die Lust, ein eigenes Unternehmen aufzubauen und unternehmerisch tätig zu sein, gesiegt.

Was hat denn etwa der Ruhrpott mit deiner Person zu tun?

Sehr viel. Die Menschen im Ruhrgebiet sprechen sehr offen, sehr direkt. Nicht unfreundlich, aber auch ohne Schnörkel und Blabla. Äußerlichkeiten sind nicht so wichtig, es zählt, was dahinter ist. Das sind Eigenschaften, die ich schätze und die heute für Unternehmen und Marken sowie Marketing und Kommunikation von elementarer Bedeutung sind, Stichwort Authentizität. Darum geht es auch bei Webputation: Unternehmen und Marken authentisch und nachhaltig in der digitalen Welt zu etablieren.

Was ist Webputation? Was macht euch besonders?

Meiner Erfahrung nach arbeiten die meisten Agenturen entweder sehr kreativ, aber wenig strategisch, oder aber sind eher der Typ Unternehmensberater, stark bei der Strategie, aber mit nur geringer Umsetzungskompetenz. Mit Webputation schlage ich die Brücke zwischen beidem.

Wir sind auf digitales Marketing und Reputationsmanagement spezialisiert, Bereiche, die sehr viele Schnittmengen miteinander haben. Dabei können wir unseren Kunden ganzheitliche Lösungen anbieten: Von der Strategie und Beratung über die Konzeption von Kampagnen bis hin zur Ausführung und Steuerung bieten wir Leistungen aus einer Hand. Wir sind nicht nur Profis in unserem Bereich, sondern verstehen aufgrund unserer Erfahrungen die Unternehmen, ihre Anforderungen und Bedürfnisse, vom Start-up über den Mittelständler bis hin zu internationalen Konzernen.

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Das Team von Webputation – Agentur für Digital-Marketing & Reputationsmanagement (vlnr): Cornelia Gräf (Redakteurin & Social Media Managerin), Wolfgang Kuhlmann (geschäftsführender Inhaber), Jan Henkel (Art Direktor), Dr. Nora Gottbrath (Beraterin), D. S. (Programmierer & Webentwickler) und Jaron Pelters (Redakteur & Lektor). Foto: (c) WEBPUTATION / webputation.eu

Eine Marke aufzubauen ist heutzutage wichtiger denn je. Welche Fehler begehen die Gründer deiner Meinung nach am häufigsten?

Mittelstand und internationale Unternehmen verstehen Markenführung, Corporate Communications und Corporate Reputation Management schon länger als Instrument strategischer Unternehmensführung. Das bedeutet, dass Marketing und Unternehmenskommunikation bis in die Vorstands- beziehungsweise Geschäftsführungsebene im Unternehmen und in die Gesamtstrategie integriert sind und die beiden Abteilungen nicht bloß ein ausführendes Organ von Management-Entscheidungen sind.

Von der Verbindlichkeit und Professionalität der Großen können viele Start-ups sicher etwas lernen. Ich begegne bei der Beratung öfter dem Fall, dass bei Start-ups Marketing und PR erst sehr spät in Geschäftsprozesse eingebunden werden. Von einem strategischen Instrument der Unternehmensführung kann da nicht gesprochen werden.

Ein weiterer Fehler, dem wir begegnen, ist Selbstüberschätzung. Wir alle können Mails schreiben und Zeitung lesen, nutzen Social Media und kommentieren auf Blogs, ergo können wir auch Pressemitteilungen schreiben, Flyer konzipieren, Layouts bewerten und nebenbei das Marketing und Social Media-Kanäle schmeißen. Wenn der Leiter Marketing und PR in jungen Unternehmen ein guter Kumpel des Gründers ist und den Job hat, weil er schon immer so gut schreiben konnte, dann läuft was schief.

Warum ist es für viele Unternehmen schwer, den Schritt in die Digitalisierung zu machen? Ist es die Angst vor dem Neuen?

Es kommt immer ganz auf das Unternehmen, seine Größe, das Marktumfeld und viele weitere Faktoren an. Beispielsweise die ganzen FinTech-Start-ups derzeit, da kann ich keinerlei Angst vor der Digitalisierung oder vor Neuem erkennen. Wenn man eher auf die DAX 30-Unternehmen schaut, fällt auf, dass sie das Thema weit oben auf der Agenda haben, sich aber aufgrund ihrer Größe und komplexen Struktur einfach langsamer bewegen. Nicht zuletzt, weil man es da mit Investitionsvolumina zu tun hat, von denen die meisten Start-ups nur träumen können.

Bemerkenswerten digitalen Mut hat beispielsweise Nestlé vor einigen Tagen bewiesen: Die Twitter-Kampagne #FragNestle hat unglaubliche Resonanz hervorgerufen, darunter natürlich auch massive Kritik. Bei Nestlé arbeiten Profis, es wäre naiv zu glauben, dass man auf die emotionalen und zum Teil hoch kritischen Fragen nicht vorbereitet war. Klar war auch, dass Nestlé und die Kritiker auf Twitter von Beginn an ein völlig unterschiedliches Verständnis von Transparenz hatten – unerwartete oder gar revolutionäre Äußerungen seitens Nestlé waren also gar nicht zu erwarten. Die Aktion erfordert aber viel Mut und ist aber ein starkes Signal, das hat mich daran beeindruckt.

Wer sich allerdings tatsächlich etwas schwer tut mit der Digitalisierung, ist der deutsche Mittelstand. Das beginnt oft schon bei digitalisierten Prozessen im Unternehmen, angefangen bei der Produktion über die Fertigung bis hin zu Distribution und Marketing. Das kann man nur multikausal erklären, und es hängt auch stark von der jeweiligen Branche ab.

Zum Beispiel das Rechtswesen: Für Anwälte war bis vor Kurzem das Faxgerät das ultimative digitale Arbeitsgerät, zudem leistete man sich eine Webseite. Für die rechtssichere Kommunikation mit Behörden, Gerichten und so weiter waren andere digitale Prozesse aber oft gar nicht geeignet, die Notwendigkeit für Digitalisierung also eher minimal. Inzwischen arbeiten die zuständigen Bundesministerien an einer entsprechenden digitalen Infrastruktur, was die papierlose Kommunikation zwischen den Organen der Rechtspflege rechtssicher ermöglichen soll.

Oder schauen wir uns den typischen Handwerksbetrieb an, oft in der Form einer GmbH mit vollen Auftragsbüchern. Das sind prosperierende mittelständische Firmen mit beeindruckenden Bilanzen. Wenn es so gut läuft, ist der Drang, in die Digitalisierung zu investieren, sicherlich nicht sehr hoch. Allerdings ist die Art und Weise, wie wir Geschäfte machen und wie diese zustande kommen, im Umbruch, und Unternehmer sind gut beraten, sich darauf professionell vorzubereiten. Anders formuliert: Der Dachdecker oder Maler, den ich morgen nicht mit authentischen Inhalten im Netz finde, ist übermorgen pleite.

Wenn du 500,- Euro Budget für Marketing hättest, was würdest du damit machen?

Es müssen schon sehr viele Faktoren zusammenkommen, dass für den Aufbau einer Marke oder die Vermarktung eines Produktes 500 Euro ausreichend sind. Dafür müsste eine enorm breite Nachfrage auf fast null Angebot treffen, das Angebot wiederum müsste super schnell skalierbar, verfügbar und erschwinglich sein, mit kaum einer Möglichkeit, es nachzumachen. Man müsste also schon so etwas wie Brot erfinden, Brot 4.0 vielleicht.

Im Ernst: Gründer sollten schon beim Business-Plan Marketing und Kommunikation berücksichtigen, kalkulieren und einpreisen. Wer da tatsächlich mit 500 Euro auskommt, dem gratuliere ich herzlich. Alle anderen können wir von Webputation schon bei diesem ersten wichtigen Schritt strategisch beraten und unterstützen.

Viele Gründer wünschen sich mehr Unterstützung vom Staat. Wie siehst du das? Muss der Staat mehr fördern, oder müssen wir uns alle in Deutschland ein bisschen ändern und Innovationen zulassen?

Ich glaube, bei dieser Frage scheiden sich Unternehmer von Gründern. Das Gründen ist ja nicht Selbstzweck und darüber hinaus nur der erste Lebensabschnitt eines Unternehmens. Ein Gründer gründet, und dann? Ein Gründer, der ein Unternehmer ist, hat den Plan bei der Gründung schon in der Tasche, den Proof of Concept, hat Fördermöglichkeiten schon abgeklopft und so weiter.

Ich glaube nicht, dass man mit mehr staatlicher Unterstützung auch ein erfolgreicherer Unternehmer wird. Entweder gibt es einen Markt für mein Unternehmen und meine Produkte und Leistungen lassen sich wirtschaftlich anbieten, oder aber eben nicht. Subventionen machen kein Geschäftsmodell langfristig erfolgreich und verzerren den Markt. Unternehmer können daran kein echtes Interesse haben.

Zudem treffen echte Innovationen auf einen Bedarf, lösen ein Problem und machen unser Leben leichter. Sie sind daher schnell marktfähig und haben dann auch Erfolg. Eine vermeintliche Innovation, die allein durch einen Trend oder staatliche Förderung am Leben gehalten wird, ist keine Innovation, sondern die Insolvenz von morgen.

Ich sehe es aber so, dass Staaten, nicht nur Deutschland, Nachholbedarf bei der Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen für neue Geschäftsmodelle und Entwicklungen der Digitalisierung haben. Man muss Digitalisierung viel stärker in einem europäischen Kontext betrachten und behandeln. Ob da das optimale Personal für zur Verfügung steht, etwa mit dem Internet-Digital-Kommissar Oettinger, darf man sicherlich kontrovers diskutieren.

Ich habe kürzlich einen treffenden Artikel des Wirtschaftsredakteurs Stephan Dörner (Die Welt) zum Thema Digitalisierung und Internet gelesen: „Was bei Deutschlands Digitalisierung schief läuft“. Der erste Satz fasst die Gesamtsituation aus meiner Sicht perfekt zusammen: „Mit der Digitalisierung tut sich das Land der Dichter und Maschinenbauer schwer: Aus den USA kommt Google, wir schaffen nur De-Mail.“

Der Staat hat die Aufgabe, grundlegende Strukturen und Regeln für sich digitalisierende und bereits komplett digitale Märkte zu schaffen und Schnittstellen für ein funktionierendes Ineinandergreifen von Online- und Offline-Commerce zu etablieren. Das ist weniger eine wirtschaftliche Chance als eine volkswirtschaftliche Notwendigkeit für uns, das Land der Dichter und Denker.

Lukas Herbst

Lukas Herbst ist 37 Jahre alt, Produktmanager bei Gemalto und Gründer der Online-Plattform StartupBrett. Nach Kosmos-Kasten, C64, Schule und Studium, folgten erste Erfahrungen als Freelancer, eine Festanstellung, 2 Kinder und 2 Start-ups.

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