Aufschieberitis

Die Vorzüge des Selbstmanagements enden da, wo die Aufschieberitis oder Prokrastination (Achtung, englischer Fachbegriff!!) beginnt. Das Wort klingt eher nach einer Krankheit und ist weit verbreitet. Ich leide ebenfalls daran.

Unter Termindruck im Sprint über die Ziellinie zu preschen fühlt sich einfach viel besser an, als stetig, sicher und rechtzeitig einzutrudeln. Stichtage und Fristen haben wirklich ihre Vorzüge. Problematisch hingegen wird es, wenn man sich durch Abgabetermine nicht mehr motivieren kann, alles nur noch schwer fällt oder die Aufschieberei zum Kreativitäts-Killer wird.

Zu Letzterem habe ich neulich einen spannenden Artikel gelesen. Übersetzt heißt der Titel „Du bist nicht zu müde, um etwas neues zu schaffen. Du bist zu abgelenkt.“ Der Autor James L. Walpole beschreibt anschaulich, wie man sich ein Gefühl der Überforderung zum Selbstschutz einreden kann. Die vielen gleichzeitig laufenden Projekte sind allzu oft ein gutes Argument für Aufgeschobenes und Unerledigtes. Sein Lösungsansatz: Um wieder Luft und Energie für neue Projekte zu haben, beendet er unfertige. Recht hat er!

Ich habe mich daraufhin über verschiedene Aufschiebe-Typen informiert und dieses Thema scheint sehr vielschichtig zu sein. Es gibt für einen Selbstständigen viele Gründe, Dinge vor sich her zu schieben (unangenehmer Kunde, Aufgaben, die keinen unmittelbaren Nutzen bringen, Angst vor Kritik oder einem Misserfolg). Ohne zu tief in die psychologischen Ursachen einzutauchen, stelle ich fest, dass ich ein Aufgaben-Messy bin. Ich sammle gern verschiedenste Aufgaben, z.B. welche, die ich gern in Ruhe und richtig machen möchte. Da wäre z.B. die Fachzeitschrift, die ich studieren statt nur lesen will. Auch weniger angenehme Aufgaben horte ich, mitunter sogar schriftlich auf einem Zettelchen, weil ich mich nicht endgültig davon verabschieden kann.

Das Blatt- oder Zettelchenwerk wird immer größer und bunter und das Unterbewusstsein meldet immer häufiger „Hättest du nicht…? Hast du schon …?“. Und das Bewusstsein antwortet „Jetzt nicht!“ Bis ich mit der Heckenschere kommen muss: Dies hier bringt mich nicht weiter – SCHNIPP. Das hier wäre richtig toll. Aber sehen wir der Wahrheit ins Auge: Ich werde es sehr wahrscheinlich nicht tun – SCHNAPP. Was dann noch übrig bleibt, wird nach Fälligkeit und Wichtigkeit sortiert, zu mehreren To-Do-Listen verarbeitet und emotionsarm abgearbeitet. Macht mir das Spaß? Nein, in dem Moment finde ich es ätzend. Aber danach bin ich frei für neues! Und belohne mich mit Kuchen.

Für alle, die weniger plumpe Methoden bevorzugen, ist dieses Buch interessant:

Schluss mit dem ewigen Aufschieben,
Hans-Werner Rückert, 2011 Campus Verlag GmbH Frankfurt
ISBN: 978-3-593-39351-3

Und wenn es für Sie nicht interessant sein sollte – WEG damit! Kein unterbewusstes To-do werden lassen. Lesen oder lesen lassen. Viel Erfolg!

 

Sara Geissler

Als Online-Redakteurin schreibt, filmt und zeichnet sie Beiträge zu den Schwerpunkten Existenzgründung, Lokales, Migration und zu Bildungsthemen: wollfisch.wordpress.com

3 Responses

  1. Fred Galka sagt:

    Die Aussage „„Du bist nicht zu müde, um etwas neues zu schaffen. Du bist zu abgelenkt.“ von James L. Walpole sehe ich anders. Ich ergänze den zweiten Satz so: „Du bist zu abgelenkt von dem, was deinem Inneren wirklich wichtig ist.“ oder anders ausgedrückt „Du hörst nicht auf dich selbst.“

    A. Tiefgehend gesehen: Müdesein ist ein Hinweisschild der leisen inneren Stimme. Krankheit als Stop-Schild ist noch weit entfernt und eine kleine Änderung des WIE (fühlt es sich an, was ich mache) oder der Richtung können aus müde wieder ganzheitlich gefühlt neugierig machen. Mit Erfolg, Routine, Effektivität und Akzeptanz durch passendes Verhalten hat das nichts zu tun, dafür mit Wachsein, Sich selbst fühlen, ganzheitlicher Lebendigkeit (Körper-Seele-Geist) und Erfüllung.

    B. Unterschiedliche Handlungsarten: 1. Aufschieberitis kann eine wirkungsvolle Art, wenn auch etwas umständliche Art des Prioritäten-Setzens sein. Am Ende ist nicht nur Hektik und Stress entstanden, sondern weniger wichtiges ist unter den Tisch gefallen und bleibt meist unwichtig. 2. Es gibt unterschiedliche Arten mit Aufgaben umzugehen. Die Einen erledigen fast alles sofort und haben es vom Tisch. Die anderen arbeiten am liebsten kontinuierlich. Wieder andere planen grob und arbeiten diesen Plan flexibel ab. Weitere andere machen zuerst und generell lieber andere Sachen und heben sich die Arbeit bis zum letztmöglichen Zeitraum auf und erledigen dann effektiv und ohne Schnörkel ihre Arbeit.

    Egal ob A. oder B. passend erscheint, Müdesein ist ein Hinweis, der beachtet werden möchte und auf notwendige Änderungen aufmerksam macht. Müdesein als Hinweis auf
    – Langeweile?
    – fehlende/n Entspannung/Gegenpol?
    – beginnende Selbstüberforderung?
    – Eintönigkeit trotz „Neuem“?
    – zur große Ernsthaftkeit bei der Arbeit, d. h. fehlende Gelassenheit?
    – phasenweise unterschiedliche Belastbarkeit?
    – fehlende Akzeptanz, dass es so ist, wie es ist und das o. k. so ist?
    – das Ende der Phase dieser Art von Arbeit?
    … eine Änderungsnotwendigkeit im derzeitigen Leben.
    Alles Gute
    Fred Galka

  2. Jehu99 sagt:

    Zu erledigende Aufgaben „aus dem Kopf zu schreiben“ ist für mich eine wichtige Methode, um konzentriert zu bleiben. Mir geht es aber auch oft so, dass die ToDo Liste viel zu lang wird.

    Ich habe festgestellt, dass es eine gute Taktik sein kann, regelmäßig manches einfach rigoros unerledigt zu lassen und die Aufgabe _bewußt_ von der Liste zu streichen (wichtig!). Manches speichere ich einfach in Evernote als „Idee“ und lasse es dort versinken, bis ich zufällig wieder darauf stoße – manchmal ergeben sich daraus neue Ansätze und Projektideen.

    Was die Arbeit als „Solopreneur“ angeht, kategorisiere ich nach „Weiterbildung“ und „Kundenprojekt“. Wie Priorität dieser Kategorien wechselt, je nach aktueller Auslastung und Tagesform. Ich reserviere aber immer wieder bewußt Zeit für die Dinge aus der Kategorie „Weiterbildung“ um Artikel zu lesen, Technologien auszuprobieren oder mit einer Idee zu experimentieren.

    Die Kategorie „Kundenprojekte“ priorisiert sich fast organisch, da die Projekte mit Terminen und Milestones versehen sind. Das Problem hier ist eher verschobene Projekte und dringende „Zwischendurch“-Aufgaben (Stichwort: Bestandskunden) möglichst sauber zu handhaben. Das ist aus meiner Sicht das Schwierigste. Außerdem muss ich darauf achten, dass die Arbeitslast aufgrund der Menge der gleichzeitigen Projekte nicht zu hoch wird. Da hilft manchmal nur, ein Projekt erst gar nicht an zu nehmen, wenn der Kunde nicht warten kann/will. Wer zuerst kommt, malt zuerst. Es dauerte einige Zeit bis ich gelernt hatte, dass man dem Kunden ganz klar und realistisch sagen kann und muss, wann man sein Projekt bearbeiten wird.
    Der Aufbau eines guten Netzwerks und Kooperationen hilft, Arbeit auf mehreren Schultern zu verteilen.

    Wichtig: Es kann immer nur eine einzige Aufgabe die höchste Priorität haben. „Alles ist gleich wichtig“ funktioniert nicht. Klare Priorisierung hilft mir, mich auch in stressigen Situationen noch möglichst gut zu konzentrieren.

    Ein Sprichwort sagt: „Des Teufels liebstes Möbelstück ist die lange Bank.“
    Daran versuche ich zu denken um der Aufschieberitis entgegen zu wirken.

    Ein bisschen klappt’s auch – manchmal, irgendwie, halbwegs. ;-)

  1. 26. Oktober 2015

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